Porcupine
Einführungsartikel reguläre Temperaturen
Definition
Der Name "Porcupine-Temperatur" steht für ein System, bei dem das Intervall 250/243 (welches entsprechend Porcupine-Komma heisst) austemperiert wird. Dieses Intervall (etwa 49.166 Cents gross) erscheint in reiner Stimmung als Differenz zwischen drei "kleinen Ganztönen" (10/9) und einer reinen Quarte (4/3), oder aber zwischen zwei reinen Quarten und drei kleinen Terzen (6/5).
Als Entdecker der Porcupine-Temperatur gilt Dave Keenan. Der Name jedoch leitet sich her von der Mizarian Porcupine Ouverture, einer Komposition in 15-EDO von Herman Miller.
Grundlegende Eigenschaften
Porcupine-Systeme haben als Generator einen (etwas herabtemperierten) kleinen Ganzton. Drei Generatorenschritte bilden eine Quarte - eine Quarte ist also in drei gleiche Teile teilbar. Sechs Generatorenschritte bilden eine kleine Septime - welche ihrerseits in drei kleine Terzen teilbar ist, woraus folgt, dass zwei Generatorenschritte eine kleine Terz bilden, die kleine Terz also in zwei gleiche Teile teilbar ist.
Die siebentönige MOS-Skala von Porcupine hat die Form 1L 6s, wobei s der kleine Ganzton ist und L das Komplement der kleinen Septime, d.h. ein grosser Ganzton. Grosser und kleiner Ganzton sind bei Porcupine-Systemen in der Regel verschieden. Das Intervall 1L+1s, ein grosser plus ein kleiner Ganzton, muss natürlich der grossen Terz entsprechen; die Quinte als Komplement der Quarte wird in der heptatonischen Porcupine-Skala gebildet aus 1L+3s.
Ferner hat Porcupine auch eine achttönige MOS-Skala - der Form 7L 1s, wobei L der kleine Ganzton ist und s eine Oktave minus 7 Generatorenschritte, ein Intervall, welches der Unterschied zwischen grossem und kleinem Ganzton ist.
Noch mehr Dinge kann man ableiten: etwa, dass die heptatonische Porcupine-Skala zwei Dur-Modi hat, Lssssss und sLsssss, welche beide aber nicht über eine reine Quarte (3s) verfügen, sondern das etwas höhere Intervall 1L+2s, welches dem Alphorn-Fa ähnelt (und in der 11-Limit-Erweiterung von Porcupine auch tatsächlich dem temperierten Alphorn-Fa entspricht). Ebenso verfügt die heptatonische Porcupine-Skala über 2 Moll-Modi, sssLsss und ssLssss, der erste mit reiner Quarte 3s und symmetrischer Struktur (zwei identische Tetrachorde der Form sss), der zweite mit der erhöhten Quarte 1L+2s.
Wir erhalten also auf einfache Weise eine Reihe von Eigenschaften und Strukturen, die teils vertraut sind, sich teils aber auch von mitteltönigen Systemen deutlich unterscheiden. Und all dies, das nicht zu vergessen, folgt sozusagen direkt aus der Austemperierung des Porcupine-Kommas.
"Obertonaler" Dur-Modus Lssssss der siebentönigen Porcupine-Skala (in 22-EDO-Stimmung)
porcupinesymmetricminor22edo.mp3
Symmetrischer Moll-Modus der Porcupine-Skala (in 22-EDO-Stimmung)
Weitere Hörbeispiele: en: Porcupine #Musical examples
Gleichstufige Systeme, die Realisierungen von Porcupine bieten, sind unter anderem 15-EDO 22-EDO, 29-EDO, 37-EDO.
In 15-EDO ist das Komplement einer siebentönigen MOS-Skala genau eine achttönige MOS-Skala und umgekehrt. Dies kann als Basis für ein 15-EDO-Keyboardlayout verwendet werden. Siehe etwa http://www.metatonalmusic.com/Keyboards.html
Varianten
5-Limit-Porcupine
Dies ist die Basis-Variante, definiert auf dem dreidimensionalen 5-Limit-Intervallraum.
7-Limit-Porcupine
Auf dem vierdimensionalen Intervallraum bei Einbezug der Primzahl 7 erhält man die oben beschriebenen Porcupine-Skalen, indem man neben dem Porcupine-Komma noch das Archytas- oder Leipziger Komma 64/63 austemperiert. Dieses ist bekanntlich der Unterschied zwischen 2 Quarten und einer Naturseptime 7/4. Dementsprechend bilden in 7-Limit-Porcupine 6 Generatorschritte eine Naturseptime, und der große Ganzton in Porcupine steht sowohl für das Intervall 9/8 als auch den septimalen Ganzton 8/7.
Hedgehog
Eine 7-Limit-Variante mit anderer Struktur erhält man, wenn man anstatt des Leipziger Kommas das Jubilisma 50/49 austemperiert. Daraus folgt bekanntlich die Existenz eines einzigen Tritonus-Intervalls, welches die Oktave in 2 gleiche Teile teilt (woraus wiederum folgt, dass Hedgehog nur von geradzahligen gleichstufigen Systemen unterstützt wird, nicht also von 15-EDO, 29-EDO oder 37-EDO). Hedgehog-Skalen haben statt der Oktave diesen Halboktaven-Tritonus als Periode. Das Komplement des kleinen Ganztons bezüglich des Tritonus entspricht der septimalen übergroßen Terz 9/7, welche daher ebenfalls als Generator angesehen werden kann.
MOS-Skalen von Hedgehog sind, auf die Oktave erweitert, natürlich geradzahlig; es gibt eine sechstönige der Form 2L 4s sowie eine achttönige der Form 6L 2s.
[Todo Tonbeispiele und weitere Eigenschaften]
Nautilus
Eine weitere 7-Limit-Variante entsteht durch das Austemperieren des Kommas 49/48 (Slendro-Diësis, septimale Diësis, septimaler Sechstelton).Damit erhält man eine Porcupine-Temperatur, die gleichzeitig eine Semiphor-Temperatur ist; für diese Kombination wurde der Name Nautilus geprägt.
11-Limit-Porcupine
Eine natürliche Erweiterung von 7-Limit-Porcupine auf den Intervallraum mit Einbezug der Primzahl 11 besteht im Austemperieren des Intervalls 100/99 (17.399 Cent, auch Ptolemäus-Komma genannt). Dieses ist der Unterschied zwischen dem kleinen Ganzton 10/9 und einer "grossen neutralen Sekunde" 11/10. Der Porcupine-Generator erhält in diesem Licht eine Art Doppelnatur, sowohl als kleiner Ganzton wie als grosse neutrale Sekunde hörbar - diese Zweideutigkeit ist in der Tat eine der faszinierenden Eigenschaften von Porcupine-Systemen. Das folgende Musikbeispiel mag vielleicht einen Teil dieser Faszination veranschaulichen:
Ausschnitt aus "Val Fedoz" (Hans Straub), Porcupine in 22-EDO
Der elfte Oberton, das Alphorn-Fa (Frequenzverhältnis 11/8), wird in reiner Stimmung um ein Intervall von 11/10 über der reinen grossen Terz erreicht, und diese Eigenschaft haben wir auch in 11-Limit-Porcupine: das temperierte Alphorn-Fa liegt einen Generator über der temperierten grossen Terz. Wieder einen Generatorschritt höher liegt die temperierte Quinte - in reiner Stimmung ein Intervall 12/11 höher, eine "kleine neutrale Sekunde", die hier ebenfalls auf dasselbe Generatorintervall temperiert wird. Somit durchläuft die Dur-Skala Lssssss die Approximationen von grossem Ganzton, reiner grosser Terz, Alphorn-Fa und Quinte - eine Approximation der Obertonreihe vom achten bis zum zwölften Oberton. Der Dur-Modus Lssssss wird deshalb auch obertonaler oder otonaler Durmodus genannt.
Die wichtigen gleichstufigen Realisierungen von Porcupine 15-EDO, 22-EDO und 37-EDO sind 11-Limit-Porcupine-Systeme.
29-EDO hingegen wird nicht als 11-Limit-Porcupine bezeichnet, da es zwar das Ptolemäus-Komma austemperiert, nicht jedoch das Leipziger Komma.
Weitere Varianten
Sowohl im 7-Limt wie im 11-Limit (und auch darüber hinaus) gibt es eine Reihe weiterer Kommas, die alternativ (oder zusätzlich) zu den oben erwähnten Kommas austermperiert werden können. Aus den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten ergibt sich eine Fülle weiterer Varianten der Porcupine-Temperatur, von denen einige mit separaten Namen versehen wurden. Im englischen Xenharmonic Wiki sind diese im Detail beschrieben.