Sagittalnotation

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Sagittalnotation.gif

Sagittalnotation ist eine von Dave Keenan, George Secor und den Mitgliedern des YaHoo Tuning Forum entwickelte universelle Notenschrift. Sie hat den hohen Anspruch, sowohl für subtilste Schattierungen reiner Stimmungen wie auch für alle Arten von gleichstufigen Tonsystemen verwendbar zu sein.

Die offizielle Webseite der Sagittalnotation mit allen relevanten (und noch ein paar mehr) Informationen ist http://sagittal.org/ . Für eine ausführliche Einführung (in englischer Sprache) siehe sagittal.pdf.

Grundideen, Anwendung für reine Stimmungen

Wie man am Beispiel zuoberst auf dieser Seite sehen kann, setzt die Sagittalnotation auf der traditionellen Notenschrift auf, die im wesentlichen um eine Reihe zusätzlicher Symbole erweitert wird. Wer mit der traditionellen Notenschrift schon vertraut ist, wird Sagittalnotation deshalb recht einfach lernen können.

Für Töne in reinen Stimmungen gilt dabei, dass die traditionelle Notation ohne Zusatzzeichen pythagoräische Intervalle beschreiben soll. Dies liegt nahe, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die diatonische Skala, auf die die traditionellen Notenschrift ausgerichtet ist, aus Quintenschichtungen aufgebaut, also pythagoräischen Ursprung ist.

Die traditionellen Vorzeichen # und b haben in Sagittalnotation entsprechend ihre Bedeutung auch gemäß der pythagoräischen Stimmung: Sie erhöhen bzw. verringern die entsprechende Note um einen pythagoräischen chromatischen Halbton (auch Apotom genannt; ein "grosser Halbton" von etwa 114 Cent).

Für Töne in reinen Stimmungen höherer Limits werden dann neue Symbole benötigt. Die Intervalle, für die die Symbole stehen, sind hier alle in reiner Stimmung definiert, und es sind hauptsächlich Kommas.

Elementarstes und wichtigstes Beispel im 5-Limit ist das syntonische Komma (Frequenzverhältnis 81/80, 21,506 Cent), der Unterschied zwischen einer pythagoräischen und einer reinen grossen Terz. Entlang der Obertonreihe tauchen weitere elementare Kommas auf: im 7-Limit das Leipziger Komma (64/63, 27,264 Cent), der Unterschied zwischen einer kleinen und einer harmonischen Septime, und im 11-Limit das Intervall 33/32, was dem Unterschied zwischen einem Alphorn-Fa und einer reinen Quarte entspricht - ein Intervall, das 53,273 Cent, also praktisch einen Viertelton gross ist. Dieses Intervall wird manchmal undezimales Komma oder Viertelton von Al-Farabi genannt. (An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die Sagittalnotation sich vorzüglich zur hochpräzisen Notation arabischer und türkischer Skalen eignet - siehe auch weiter unten.)

Mit den Sagittalsymbolen für diese drei Kommas lässt sich dann etwa eine Tonleiter aus den Obertönen 4-11 wie folgt schreiben:

SagittalOvertoneSeries.jpg

Für eine komplette Liste aller Kommasymbole sei auf http://sagittal.org/ oder sagittal.pdf verwiesen.

Pure und gemischte Sagittalnotation

Es gibt 2 Varianten der Sagittalnotation:

Die "gemischt-sagittale" Variante verwendet auch die traditionellen Symbole # und b, die bei Bedarf mit Kommasymbolen kombiniert werden. Das hat den Vorteil eines vertrauten Notenbildes, jedoch den Nachteil, dass öfters mehrere Zeichen vor einer Note stehen, was mehr Platz benötigt und bei komplexeren Akkorden zu Unübersichtlichkeit führen kann.

Demgegenüber verfolgt die "pur-sagittale" Notation den Ansatz, maximal ein Symbol pro Note zu benötigen. Anstelle von Symbolkombinationen werden zusätzliche Symbole verwendet, wobei auf ein konsistentes und logisches Design geachtet wurde; in dieser Philosophie sind auch # und b durch Neukreationen ersetzt. Das führt zu potentiell grösserer Klarheit, doch andererseits natürlich zu mehr Symbolen und allgemein einem etwas gewöhnungsbedürftigeren Notenbild.

Das Notenbeispiel am Anfang dieser Seite illustriert die Unterschiede zwischen purer und gemischter Sagittalnotation, indem es dieselbe Passage in beiden Varianten zeigt.

Anwendung für gleichstufige Tonsysteme

Ein besonderer Clou der Sagittalnotation ist, dass sie nicht nur für reine, sondern auch für gleichstufige Tonsysteme konzipiert wurde. Die Grundprinzipien zum Notieren in gleichstufigen Systemen sind dabei:

  1. Ein Ton eines gleichstufigen Systems ist zu notieren wie ein Ton in reiner Stimmung, für den der gleichstufige Ton die beste Näherung ist.
  2. Die traditionelle Notation ohne Zusatzzeichen soll Töne gemäss Quintenschichtungen bezeichnen, wobei als Quinte natürlich die beste gleichstufige Näherung der reinen Quinte gilt.

Hierbei gibt es jedoch eine Reihe von Details, die zu beachten sind. Der wichtigste Punkt: eine solcherart definierte Notation ist in hohem Masse redundant. Jede Note eines gleichstufigen Systems ist beste Näherung für eine ganze Reihe von reinen Noten - theoretisch sogar unendlich viele. Es gibt, in anderen Worten, extrem viele Möglichkeiten für enharmonische Verwechslungen. Das an sich muss kein Hinderungsgrund sein - enharmonische Verwechslungen gibt es ja auch in der traditionellen Notation schon. Aber im Interesse der möglichst zu erstrebenden Einfachheit ist es doch sinnvoll, die Möglichkeiten zu beschränken. Manche Kommas zum Beispiel verschwinden ganz - wie das syntonische Komma bei mitteltönigen gleichstufigen Systemen; das entsprechende Kommasymbol wird dann aus naheliegenden Gründen nicht gebraucht. Andere Fälle sind weniger eindeutig. Die Entwickler der Sagittalnotation haben daher für jedes gleichstufige System eine empfohlene standardisierte Notation definiert. Siehe sagittal.pdf für Details.

Beispiel 1: Vergleich der Notationen in verschiedenen gleichstufigen Systemen

Nachfolgend ein Beispiel, wie sich die Standardnotationen für die verschiedenen gleichstufigen Systeme präsentieren.

SagittalEDOExample.jpg

Dargestellt wird der Vierklang, der aus den Obertönen 4 bis 7 (bzw., in den gleichstufigen Systemen, deren Approximationen) gebildet wird, ein Akkord, der einem Dominantseptakkord ähnelt. Zuerst sieht man ihn in gemischter Sagittalnotation für reine Stimmung, mit dem Zeichen für das syntonische Komma vor dem E und demjenigen für das Leipziger Komma vor dem B.

In gleichstufigen Systemen könnte man ihn gemäss Richtlinie 1 an sich immer genau so schreiben - doch je nach System ergeben sich dabei verschiedene enharmonische Verwechslungen, welche andere, einfachere Schreibweisen nahelegen.

In der Standardstimmung 12-EDO etwa, dem zweiten Beispiel, werden sowohl das syntonische wie das Leipziger Komma austemperiert, weswegen man die entsprechenden Zeichen weglassen kann. Die beste Approximation des Oberton-Vierklangs ist hier identisch mit derjenigen eines pythagoräischen Dominant-Septakkord und kann so geschrieben werden. Die Sagittalnotation stimmt also beim Notieren von Musik in der Standardstimmung 12-EDO mit der traditionellen Notation überein.

22-EDO hingegen (drittes Beispiel) temperiert das Leipziger Komma aus, nicht jedoch das syntonische Komma. Deswegen ist hier das entsprechende Zeichen vor dem B unnötig, dasjenige for dem E muss erhalten bleiben. Der Unterschied zwischen den Approximationen von pythagoräischer und reiner grosser Terz beträgt einen 22-EDO-Schritt, welcher somit in 22-EDO als Approximation des syntonischen Kommas gilt (mit 54.55 Cent allerdings mehr als doppelt so gross ist wie die reine Version desselben Intervalls).

Es gilt ausserdem, dass in 22-EDO auch der Unterschied zwischen den Approximationen von Alphorn-Fa und reiner Quarte einen 22-EDO-Schritt beträgt - d.h. syntonisches und undezimales Komma fallen in 22-EDO zusammen, was wieder eines der beiden Symbole überflüssig macht. Insgesamt wird für die Notation von 22-EDO nur ein zusätzliches Symbol benötigt (bzw., genauer gesagt, zwei - eins aufwärts und eins abwärts), welches für Modifikation um einen 22-EDO-Schritt steht. Als empfohlenes Standardsymbol wurde dasjenige für das syntonische Komma definiert.

31-EDO schliesslich (viertes Beispiel) ist wie 12-EDO ein mitteltöniges System und temperiert entsprechend das syntonische Koma aus, nicht jedoch das Leipziger Komma. Das Zeichen vor dem E ist deshalb wieder unnötig. Das Leipziger Komma wiederum fällt hier mit dem undezimalen Komma zusammen - beide werden durch einen 31-EDO-Schritt angenähert. Als empfohlenes Standardsymbol für 31-EDO wurde dasjenige für das undezimale Komma (Viertelton) definiert - die harmonische Septime könnte man daher als B mit vorgestelltem Viertelton-Symbol schreiben. Dieser Ton wird hier jedoch stattdessen enharmonisch äquivalent als Ais notiert, wie es in 31-EDO als septimal-mitteltönigem System möglich ist.

Beipiel 2: 11-EDO-Tonleiter

Als zweites Beispiel eine 11-EDO-Tonleiter. Beim Definieren einer Standardnotation trifft man hier auf einen zweiten potentiellen Problempunkt: in 11-EDO gibt es keine "gute" Approximation der reinen Quinte. Eine Definition der Notation gemäss Richtlinie 2 über Quintenschichtungen ist deshalb nicht sinnvoll - es würde zu seltsamen Effekten führen, sogar zum Widerspruch zu Richtlinie 1 (die geschriebene Note E würde wie in D klingen, die geschriebene Note Es hingegen wie ein E). Dieses Problem kann dadurch umgangen werden, dass für gleichstufige Systeme mit einer schlechten Quintenapproximation die Symbole eines feineren gleichstufigen Systems verwendet werden - im vorliegenden Fall 11-EDO diejenigen von 22-EDO. Aus analogen Gründen wird für 16-EDO die Standardnotation von 48-EDO empfohlen.

Sagittal11EDO.jpg

(Rendering Juhani Nuorvala)

Man beachte, dass beide Notenlinien dieselbe Tonleiter beschreiben! Das sehr verschiedene Aussehen kommt durch Effekte der enharmonischen Verwechslungen zustande. Die obere Linie kommt völlig ohne Zusatzsymbole aus, erweckt jedoch den falschen Eindruck einer Auf- und Abbewegung - in Wirklichkeit handelt es sich um eine aufsteigende Linie aus 11-EDO-Schritten. Die untere Linie benötigt Zusatzzeichen, ist dadurch aber intuitiver zu lesen.

Software

Sagittalnotation wird inzwischen von einer Reihe Softwareprodukte unterstützt. Auf http://sagittal.org/ sind Fonts mit den Sagittalsymbolen verfügbar, mit deren Hilfe Sagittalnotation in Notensatzprogramme wie Finale, Sibelius oder Lilypond eingebaut werden kann. Es gibt auch schon Plugins, welche die Eingabe vereinfachen, namentlich:

Sagibelius, ein Plugin von Jacob Barton für Sagittalnotation in Sibelius. Sagibelius ist "Donationware".

Sagittal-Lilypond, ein Plugin von Graham Breed für Sagittalnotation in Lilypond. (Sowohl Lilypond wie das Plugin sind Freeware.)

Mus2 ist eine Notensatz-Software, die besonders auf die Anforderungen für die Notation türkischer (und natürlich auch arabischer, persischer und anderer orientalischer) Musik ausgerichtet ist. Sie unterstützt Sagittalnotation "von Haus aus".

Weitere Informationen zu Software sind auf http://sagittal.org/ zu finden.

Noten in Sagittalnotation

Es sind zur Zeit noch nicht sehr viele Musikstücke in Sagittalnotation verfügbar, aber die Liste ist am wachsen! Besonders zu erwähnen ist das Sagittal Songbook, das 48 Stücke in verschiedenen Stimmungssystemen in pur-sagittaler Notation versammelt.

Eine Liste aller bekannten verfügbaren Sagittalnoten wird derzeit auf dem englischen Xenharmonic Wiki aufgebaut.